WIR. Die neue Serie über unsere Mitglieder. Patricia plaudert mit ihren Interviewpartnern ganz offen über ihre Geschichten, ihre Erlebnisse, ihre Abenteuer. Die trail-maniacs Community ist bunt. Kunterbunt. So auch die Erzählungen und Berichte. Emotional. Bewegend. Tiefgründig und einfach spannend. Das sind WIR.
156,6 – Nein, keine Ultratraildistanz. Und doch verbirgt sich hinter dieser Zahl dein ganz persönlicher Ultra, oder Christian?
Oh ja! Ich habe es so zwar noch nie betrachtet, aber ja, man kann es schon mit einem Ultra vergleichen. Wobei ich das natürlich damals nicht so empfand. Tatsächlich kannte ich den Begriff “Ultra”, als ich anfing abzunehmen, noch gar nicht – ich hatte mich ja in meinem “alten” Leben nie mit Laufen beschäftigt, geschweige denn Laufen können. Meine Grenzen waren ziemlich schnell erreicht, schon ein Sonntagsspaziergang mit der Familie war zu viel für mich, weshalb ich auch versuchte alle körperlichen Aktivitäten zu vermeiden – natürlich sehr zum Leidwesen meiner Familie. Dass man “Marathon” läuft, davon hatte ich natürlich gehört – aber als ich das erste Mal von einem “Ultra” hörte konnte ich gar nicht glauben, dass ein Mensch dazu in der Lage wäre, geschweige denn, dass ich mir selbst einmal darüber Gedanken machen würde, wo meine Grenzen beim Laufen liegen.
Was wiederum eine interessante Parallele zum Abnehmen (oder Dick sein) aufweist. Denn Außenstehende begreifen oft gar nicht die Problematik. Nur ein “Ultra”-Läufer weiss um die Herausforderungen des Ultra-Laufens. Und so geht es auch Menschen, die mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg abgenommen haben. Nur ein Mensch der einmal dick war weiss um die Herausforderungen, die das “Dicksein” mit sich bringt.
Und die Parallelen gehen durchaus noch weiter. Denn beides, Ultra-Laufen und “Ultra”-Abnehmen – wenn ich es einmal so nennen darf, bedürfen einer Vorbereitung (bzw. den Willen “es” zu tun), Training (Ernährungs-Coaching vs. Lauftraining), mentale Vorbereitung, Disziplin, Durchhaltevermögen und Zielorientierung. Ich denke ja, das es schon eine bestimmte Einstellung braucht um so etwas wie Ultra-Läufe überhaupt in Erwägung zu ziehen. Eine bestimmte Mentalität, die es erlaubt mit Ausdauer ein bestimmtes Ziel zu verfolgen und seine Grenzen dabei nach oben zu verschieben. Durchzuhalten – auch wenn es schwierig wird. Gegen alle Widerstände anzukämpfen und den Erfolg zu feiern. Abnehmen gehört irgendwie in die gleiche Kategorie. Man kann also durchaus sagen, dass 156.5 meine persönliche Ultra-Herausforderung war – und zwar als Finisher.
Mir war deine ganze Vorgeschichte so ganz und gar nicht bewusst, ich hab dich bei unseren followthelocals-Events der einzelnen CREWs als motivierten, stets zu einem flotten Plausch aufgelegten Trailrunner kennengelernt. Nicht im Entferntesten hätte ich deinen sehr bewegenden Background erwartet. Das zeigt mir einmal mehr, welch spannende Geschichten (und Potenziale) hinter jedem einzelnen Mitglied der trail-maniacs stecken können.
Ja, das ist das schöne daran, wenn sich Gleichgesinnte zusammenfinden. Individuelle Lebensgeschichten und Potentiale, die manchmal darauf warten entdeckt oder gefördert zu werden, vereint in einer gemeinsamen Leidenschaft. Für mich auch ein wichtiger Aspekt bei den trail-maniacs – andere kennen lernen, deren Geschichten zu hören, deren Beweggründe und deren Motivation. Ich ziehe daraus für mich selbst unglaublich viel Energie und hoffe auch etwas von meiner Motivation und Energie weitergeben zu können, in dem ich meine Geschichte erzähle.
Nimm beispielsweise Eric, unser Crewchef in Aarau. Er arbeitet als Sportwissenschafter. Es ist unglaublich interessant mit ihm zu laufen, weil er auch gerne erzählt und ich konnte schon sehr viel von ihm lernen – gerade Laufen ist für mich ja immer noch Neuland. Oder Raffaele, der schon Ultra-Cycling machte und jetzt auch Ultras läuft! Oder natürlich auch du und dein Mann Hari, die als Skyrunner Touren unternehmen, die ich, bis ich euch kennenlernte, noch als völlig unmöglich empfand! Ich meine, du läufst da bei den wöchentlichen Trailtreffs neben Menschen, die wirklich Grossartiges leisten und du bist Teil dieser Gemeinschaft! Das ist wirklich fantastisch!
Du betreibst deinen Blog (www.3rules.ch) mit sehr viel Leidenschaft und Mut und man spürt regelrecht all die Emotionen, Erfahrungen, Erlebnisse, die dir in den letzten 2 Jahren begegnet sind. Ich habe jeden einzelnen Beitrag regelrecht verschlungen. Du schaffst es Menschen zum nachdenken anzuregen. Geht es dir bei deinem Blog mehr um die Selbstverarbeitung der Geschehnisse, die Dokumentation/Chronik der Ereignisse oder doch mehr darum, anderen Mut zu machen?
Das ist schwierig zu sagen. Der Fokus hat sich ein wenig verschoben. Anfangs war es für mich wahrscheinlich eher eine Selbstverarbeitung und Chronologie meiner Geschichte. Ein Versuch es für mich begreifbar und nachvollziehbar zu machen. Denn nebst der körperlichen Veränderung hat sich bei mir auch auf der psychischen Ebene wahnsinnig viel getan. Etwas, was ich so gar nicht erwartet hätte, worauf niemand dich vorbereitet und was einen völlig aus der Spur bringen könnte. Denn es verändert sich irrsinnig viel.
Ein Beispiel: Meine Frau traf eine Freundin wieder, die sie einige Zeit nicht mehr gesehen hatte. Nach einigem Hin und Her fragte sie meine Frau ob sie denn einen “Neuen” hätte. Meine Frau verstand zunächst gar nicht um was es ging. Aber die Freundin meinte, ob meine Frau einen neuen Mann hätte! Sie hätte sie nämlich mit jemandem anderen Händchen haltend auf der Strasse gesehen! Das war natürlich kein anderer Mann, sondern ich – aber sie hat mich nicht erkannt. Meine Frau lachte zunächst darüber, und es ist sicherlich auch eher lustig. Aber dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack, der zunächst gar nicht so klar ist: Denn ja, ich bin äusserlich ein komplett anderer Mensch geworden. Und das muss zunächst in den Köpfen ankommen und kann falsche Assoziationen hervorrufen! Die Bemerkung “Hast Du einen anderen?” ist deshalb für meine Frau nicht so ganz unproblematisch, weil diese Bemerkung unser ganzes Leben in Frage stellt! Jemand, der nicht die Gelegenheit hat zu fragen, wird vielleicht Gerüchte streuen. Das kann ganz unerwünschte Seiteneffekte haben! Für mich ist sie ebenfalls nicht so ganz ohne, da diese Aussage mich gewissermassen “ausradiert”. Der Mensch von damals existiert nicht mehr. Und natürlich ist das alles positiv für mich (und natürlich auch meine Frau), aber die Gefühlsebene muss damit eben auch klarkommen. Und indem ich alles niederschreibe und mir ab und zu auch selbst wieder durchlese, komme ich damit vielleicht auch etwas besser zurecht. Und das war nur ein Beispiel. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass es da noch ganz viel andere Sachen gibt, die ich zum Teil in meinem Blog auch thematisiere.
Dann hat der Blog aber sicher auch eine präventive Wirkung für mich. Denn auch wenn es im Moment super bei mir läuft und Gewichtszunahme sicher kein Thema ist. Ganz gefeit bin ich davor nicht wieder zuzunehmen. Das ist mir auch bewusst. Und so soll mir dieser Blog auch selbst dabei helfen die Motivation und die Disziplin weiter aufrecht zu erhalten und weiterzumachen. Mit der Zeit wurde mir auch immer mehr bewusst, was ich da bereits geschafft hatte und es zeigten sich die ersten Reaktionen darauf – vor allem natürlich, als das erste Mal über mich in den Medien berichtet wurde. Es gab da ganz unterschiedliche Reaktionen. Welche, die ich erwartet hatte – also von Menschen die selbst gerne abnehmen würden und von mir Tipps wollten – bis hin zu Reaktionen, die ich niemals erwartet hätte. So wurde mir beispielsweise mehr als einmal gesagt, dass man solche Geschichten bisher immer für Fake gehalten hätte und die vorher/nachher Bilder für Photoshop-Fälschungen hielt. Ich konnte das zunächst kaum glauben – immerhin hatte ich diese Transformation ja selbst hinter mir. Und doch zeigte sich, dass da ein sehr grosses Unwissen einerseits und Interesse andererseits vorhanden ist, Neugier, Sensationslust – eben das gesamte Spektrum. Und dann dachte ich mir: Jetzt zeigst Du die ganze Wahrheit. Schonungslos.
Mein Zielpublikum ist dabei ganz unterschiedlich. Zunächst einmal will ich Menschen erreichen, die bisher keine Berührungspunkte mit übergewichtigen Menschen hatten und sich demzufolge auch kaum vorstellen können, wie das Leben als übergewichtiger Mensch ist. Man kann es romantisieren wie man möchte, Dick sein ist kein Spass. Und ich bin auch überzeugt davon, dass es keinen (extrem) übergewichtigen Menschen gibt, der zufrieden mit seinem Körper ist. Und ich möchte ein Bewusstsein für (uns) Dicke schaffen. Vorurteile abbauen und für einen vernünftigen Umgang plädieren. Ich bin nicht gegen die Body-Shaming Bewegung, ganz im Gegenteil, aber man sollte nebst der ganzen Positivität nicht vergessen, dass Übergewicht sehr gefährlich ist. Immer. Das zeigen Studien mittlerweile eindrucksvoll.
Dick sein, und ich rede hier von krankhaft Dick, nicht einfach nur ein paar Kilo zu viel, ist eine Krankheit. Und da ist es nicht getan mit: ”Iss doch einfach weniger”. Wenn es nur so einfach wäre. Das ist aber genau die Vorstellung von vielen “Normalen”. Einfach weniger essen, und schon schmelzen die Kilos. Und in die gleiche Kerbe schlagen eben auch viele dieser sogenannten Ernährungsexperten und Personal-Trainer. Einfach weniger essen, mehr Sport treiben. Und das richtet so unglaublich viel Schaden an. Psychisch, weil man offensichtlich nicht in der Lage ist so einfach Tipps umzusetzen und natürlich auch physisch. Denn fünf Kilometer mit starkem Übergewicht zu laufen beansprucht den Körper ungemein – und hilft leider nicht, oder zumindest nicht in dem Ausmass, wie sich viele erhoffen. Dazu möchte ich mit meinem Blog einen Kontrapunkt setzen. Echte Geschichten mit echten Menschen und echten Effekten aufzeigen und keine künstlichen TikTok-Videos mit fröhlich tanzenden “Experten”. Ich möchte hier wirklich nicht alle über einen Kamm scheren, aber was ich manchmal in meiner Medien-Bubble zu sehen bekomme, ist doch schon recht fragwürdig.
Eine andere Zielgruppe sind übergewichtige Menschen. Ich möchte Ihnen einen Weg aufzeigen, wie man es schaffen kann. Ich möchte über meine drei Regeln berichten, die ich für mich immer wieder erfolgreich einsetze und über mein neues und aber auch altes Leben. Den Veränderungsprozess. Die einzelnen Schritte dorthin. Bis hin zu der Haut-Operation. Ich stehe nicht mit erhobenem Zeigefinger da und beanspruche die Wahrheit für mich. Es ist immer meine Geschichte, die ich hier schreibe. Und die passt für mich und damit habe ich es geschafft. Wenn es jemand anderer damit ebenfalls schafft – und ich habe schon solche Feedbacks erhalten – dann lohnt sich der ganze Aufwand für mich doch schon!
Dabei möchte ich, und das ist mir extrem wichtig, schonungslos offen sein. Nur dann kann ich auch authentisch bleiben. Und zum Glück kann ich das auch, weil meine Familie, allen voran meine Frau, zu hundert Prozent hinter mir steht. Diesen Luxus kann ich gar nicht oft genug hervorheben.
Mittlerweile habe ich meine Geschichte in ein Live-Programm gepackt und erzähle sie vor Publikum. Das ist nochmals eine ganz andere Herausforderung. Denn plötzlich bist du aus der Anonymität des Schreibens heraus und hast dein Publikum ganz real vor Dir sitzen. Reaktionen werden direkt sichtbar und ich kann manchmal die Emotionen in den Gesichtern meines Publikums sehen. Was ich extrem spannend und schön finde. Und ich freue mich auch immer auf die Fragerunde nach dem Vortrag, denn meist werden dort total interessante Fragen gestellt.
Dein Zieleinlauf bei deinem Marathon spricht Bände. Dieses Foto zeigt dich unendlich strahlend und erschöpft zugleich, stolz, erleichtert, vorausschauend. Es ist einfach grossartig und unheimlich mitreissend. Bei den trail-maniacs geht es auch irgendwie um die positiven Vibes, um ein Miteinander, ums gegenseitige Motivieren. Welchen Stellenwert nahm bzw. nimmt noch immer dein Laufpartner Stefan Barenbrügge ein und welchen Beitrag leisten die trail-maniacs?
Ich habe ihm das wahrscheinlich noch nie gesagt, aber Stefan ist ein grosses Vorbild für mich. Er hat schon Sachen gemacht, von denen ich (im Moment) nur Träumen kann. Und ich hoffe irgendwann einen kleinen Teil ebenfalls machen zu können. Er ist eigentlich auch immer für irgendwelche verrückten und weniger verrückten Sachen zu haben. Letztes Jahr wollte ich mit dem Velo um den Bodensee fahren, relativ spontan, irgendwann um 4 Uhr morgens losfahren. Das war gar keine grosse Diskussion – wir machten es einfach. Und als ich die Idee hatte den E250 beim Eiger Ultra zu machen war er eigentlich auch sofort dabei. Allerdings dachte ich, es wäre ein Relay und so mussten wir diese Idee wieder einstampfen, ich hätte ja auch die Voraussetzungen dafür gar nicht erfüllt – aber wer weiss, was die Zukunft bringt.
Er war auch damals sofort da, als ich sagte, ich wolle den Marathon hier bei uns laufen, da der Zürich-Marathon wegen Corona ausfiel. Ich kann mich noch daran erinnern wie er mir sagte, dass er, wenn ich meinen ersten Marathon laufen würde, mich auf jeden Fall begleiten würde. Das bedeutete mir ungemein viel. Und das ganze Erlebnis wäre ohne Stefan und ohne meine Frau Carmen nicht mal annähernd das gleiche gewesen. Carmen hat alle 10km für uns ein kleines Ständchen mit Verpflegung aufgebaut. Nebenbei hat sie noch den Empfang für mich organisiert und alle auf dem Laufenden gehalten wo wir gerade waren. Ich wusste davon nichts. Umso grösser war die Überraschung, als ich zu Hause ankam und alle meine Bekannten und Freunde auf mich warteten. Meine Cousine kam sogar extra aus Deutschland angereist.
Du musst verstehen, diese ganze Situation, dass ich mit jemanden Laufen gehe, dazu in der Lage bin und mehr noch, dass ich gefragt werde ob ich mit zum Laufen kommen würde – das ist alles noch super neu für mich. Und auf eine sehr positive Art wahnsinnig gewöhnungsbedürftig! Ich zweifle ja immer noch bei jedem Lauf im Vorfeld, ob ich überhaupt dazu in der Lage bin. Erst wenn ich dann tatsächlich loslaufe habe ich wieder die Gewissheit, dass ich es kann. Es ist einer dieser psychologischen Aspekte, die ich bereits zu Anfang unseres Gesprächs bereits erwähnte. Auf einer bestimmten Ebene bin ich immer noch “dick”. Nicht physisch aber psychisch.
Die trail-maniacs sind dann nochmals ein ganz anderes Thema. Denn dass ich dort mitlaufen kann ist für mich immer noch ein kleines Wunder. Und dass ich gut mithalten kann noch ein viel grösseres. Wie gesagt, vor drei Jahren konnte ich kaum einen Kilometer spazieren gehend zurücklegen. Jetzt laufe ich die Trails rauf und runter und kann andere sogar zum Laufen animieren – wer hätte das jemals gedacht? Also geniesse ich jeden Run den ich mit den trail-maniacs machen kann in vollen Zügen.
Es ist einfach super, dass es die trail-maniacs in der Form gibt. Ich kann, wenn ich will, fast jeden Tag in der Woche mit einer anderen Crew in der Schweiz laufen gehen. Eine Gegend schöner als die andere, ein Trail flowiger als der andere, tolle Aussichten, tolle Menschen und spannende Geschichten. Und dabei spielt es im Prinzip keine Rolle wie fit Du bist. Es lacht Dich keiner aus wenn Du etwas langsamer bist oder mal einen schlechten Tag hast – das hat meine Frau schon ganz anders erlebt bei lokalen Laufgruppen bei uns zu Hause. Wo man sie von oben bis unten ansah und fragte ob sie überhaupt zum Laufen in der Lage wäre. Klar, dass meine Frau dort nie mehr mitlief. Bei den trail-maniacs habe ich das noch nie erlebt. Und genau das macht es aus. Der Spass zusammen auf den Trails steht im Vordergrund.
Ich mag mich an den letzten followthelocals in Bern erinnern, wo du Patricia ja auch dabei warst. Dort haben wir jede Menge Spass zusammen gehabt, ja sogar rumgealbert und lustige Fotos geschossen. Und das bei einem Lauf auf den Gurten mit 21km und 1000hm und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Also nicht unbedingt ein Sonntagsspaziergang. Das macht es aus. Die positiven Vibes, das Miteinander und die gegenseitige Motivation. Ich freue mich sehr, dass ich ein kleiner Teil davon sein kann.
Trailrunning. Warum eigentlich Trailrunning? Immerhin hattest du deinen grossen Moment (Marathon) beim klassischen Laufsport.
Auch wenn es so aussieht, mein Marathon war auch nicht unbedingt klassisch, sondern auf Feld- und Waldwegen, rund um den Hallwiler-See mit 260hm. Mit einem Augenzwinkern könnte man es schon einen Trailrun nennen. Tatsächlich war ich schon als Kind gerne in den Wäldern unterwegs und später, mit dem Bike, auch gerne auf Bergen. Es gibt mir einfach ein unglaubliches Gefühl von Freiheit, wenn ich dort unterwegs bin. Denn trotz alle dem ich sehr übergewichtig war, solange es ging, war ich mit meinem Bike in der Natur unterwegs. Das war für mich der perfekte Ausgleich zu Studium und später Job. Irgendwann musste ich damit leider aufhören, als ich nämlich zu schwer für den Carbon-Rahmen meines Bikes wurde.
Trailrunning ist eigentlich die konsequente Weiterführung. Ich geniesse das Laufen und die technischen Schwierigkeiten im Gelände weil ich mich dadurch völlig auf den Lauf einlassen muss. Gerade bei technisch anspruchsvollen Downhills musst du absolut konzentriert sein und jeden Schritt vorausplanen um möglichst schnell zu sein. Dadurch bleibt keine Zeit mehr für andere Gedanken, ich kann dann völlig abschalten. Wenn ich auf den Trails unterwegs bin kann ich deshalb alles andere – vor allem meinen Job, der ja im wesentlichen aus Denken besteht – für diese Zeit komplett ausblenden. Was mir im Alltag sonst so nicht gelingt. Das ist unglaublich entspannend. Dazu die Endorphine und fertig ist ein sehr glücklicher Christian.
Im Winter bin ich, weil es schneller dunkel wird, auch mal auf der Strasse unterwegs. Aber ich merke wie sehr mir der Asphalt eigentlich widerstrebt und wie toll das Gefühl ist, wenn ich dann wieder auf eine Schotterstrasse einbiege und das vertraute Knirschen unter meinen Füssen höre und spüre. Ich mag zwar die Monotonie des Laufens an sich, aber nur in kleinen Dosen. Die Abwechslung macht es für mich einfach aus, die ich im Trailrunning naturgemäss einfach habe.
Und ein anderer wesentlicher Aspekt ist natürlich die Community. So etwas wie die trail-maniacs findest du im klassischen Laufsport nicht. Und ich denke es hängt damit zusammen, dass es schon eine bestimmte Mentalität braucht um die Trails zu lieben. Ich meine, wir ticken alle irgendwie gleich. Einem Trailrunner kannst du mit einer richtigen Schlammschlacht ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ein Strassenläufer kann das nur schwer bis gar nicht nachvollziehen. Einem Trailrunner kannst du etwas von einem Run über einen schmalen Grat einer Fluh in der Nacht bei einem Schneesturm erzählen und er bekommt Gänsehaut und fragt vielleicht noch, ob der lieber die Petzl oder die Lupine mitnehmen soll, während ein klassischer Strassenläufer dich einfach nur für verrückt erklärt. Zugegeben, das ist etwas überspitzt ausgedrückt, trifft den Kern der Sache aber ziemlich gut.
Wenn ich auf meinen Hometrails unterwegs bin, dann habe ich manchmal das Gefühl einen riesigen Spielplatz vor mir zu haben, den ich auf alle möglichen Arten erlaufen kann. Und ich merke während des Laufens oft, dass ich ein breites Lächeln im Gesicht habe. Spätestens dann singe ich auch immer die Lieder aus meinen Kopfhörern mit und hoffe, dass keiner sonst in den Wäldern unterwegs ist und mich hört.
Jetzt interessieren mich noch deine Zukunftsvisionen. Die eingangs erwähnte Zahl 156,6. – reizt dich diese als Trailrunning-Ultra anzustreben? Ist doch immerhin auch im Ultrasport eine ganz grosse Zahl: ein 100 Miler!
Ja, ungemein! Ich kann es gar nicht erwarten. Und das ist auch mein grösstes Problem.
Als ich das Laufen anfing wollte ich relativ schnell an meine Grenzen gehen. Mein Herz-Kreislaufsystem war durch das Velofahren ja auch gut auf Ausdauerleistungen ausgelegt. Und so lief ich schon bald fünf Kilometer, dann zehn, dann fünfzehn und ca. 4 Monate nachdem ich überhaupt das erste Mal joggen war, einen Halbmarathon. Ging alles gut. Also dachte ich mir: Next Stop: Marathon. Und arbeitete darauf hin. Immerhin ist der Marathon ja “nur” ein doppelter Halbmarathon! Kein Problem, dachte ich. Ich trainierte mit Elan und ohne Pause. Schmerzen im Bein? Ach was. Die würden schon vergehen.
Dann der Marathon und am nächsten Tag gleich wieder auf’s Laufband. Tja. Und dann gingen die Schmerzen eben nicht mehr weg. Jeder Schritt schmerzte. Diagnose nach langem hin- und her: Belastungsbruch mit drei Monaten Laufpause.
Ich habe zu schnell zu viel gewollt. Und dabei eben die Erfahrung gemacht, dass ich auf meinen Körper hören muss. Und so ging es mir danach noch einige Male. Ich stiess auf meine Grenzen und musste einige Lektionen lernen. Darunter auch die Lektion mit dem “Mann mit dem Hammer”, als ich das erste Mal 240km/3000hm mit dem Velo fuhr. 20km vor meinem zu Hause war Schluss. Mir wurde schlecht, ich musste mich übergeben und ich konnte mich kaum mehr auf den Füssen halten. Eine interessante Erfahrung, und offensichtlich gar nicht so selten bei Ultra-Leistungen.
Jetzt bin ich sehr viel vorsichtiger geworden und versuche viel mehr auf meinen Körper zu hören und zu experimentieren. Vor allem mit der Ernährung. Auch eine neue Erfahrung für mich. Denn bisher ging es ja bei mir darum so zu essen, dass ich abnehme. Jetzt geht es plötzlich darum sich so zu ernähren, dass Ausdauerleistungen überhaupt erst möglich werden.
Als mein persönliches Highlight steht in diesem Jahr bei mir noch der Eiger Ultra E51 auf dem Plan. Dafür trainiere ich im Moment und ich bin jetzt schon “Ultra”-nervös, wenn ich daran denke. Ich glaube schon, dass ich konditionell dazu in der Lage bin – jetzt muss nur noch mein Körper mitspielen – aber da bin ich optimistisch.
Herzlichen Dank Christian für deine Zeit und das lange, aber sehr kurzweilige Gespräch, das sehr tief in deine Vorgeschichte blicken lässt. Toi Toi Toi für deine Zukunftsvisionen, ich drücke dir bei allem fest die Daumen!
Herzlichst Patricia