Wir checken im Berghaus Toni ein. Ob wir wegen dem Aletsch-Halbmarathon da seinen? Sind wir.
Ab sofort hat die Rezeptionistin nur noch Blicke für meinen Mann. Hier der Busfahrplan zum Startgelände, für Begleiter leider kostenpflichtig (mitleidiger Blick in meine Richtung), hier die Zeiten für das Pasta Dinner und das extrafrühe Läuferfrühstück. Dann an mich gewandt, beschreibt sie die besten Stellen, an denen man den Läufern zujubeln kann. Sie ist peinlich berührt, als ich klarstelle, dass auch ich mitlaufen werde… Hat sie recht und mein Platz wäre besser der am Rand der Laufstrecke?
Am nächsten Morgen am Start, mein Mann ist in einem der schnelleren Blocks gestartet, habe ich genug Zeit, die anderen Läufer ausgiebig zu begutachten. Der eine trägt noch das Armband des Ironmans, ein ganz harter also. Ich muss schmunzeln, das erinnert mich an meine Jugend, als man einem Konzert lange extra nicht geduscht hat, damit man den Stempel am Handgelenk noch sehen kann. Eindeutiges Indiz der eigenen Coolness.
Andere sind von Kopf bis Fuss getapt, ob die wohl besonders schnell sind? Oder sollte ich sie eher bemitleiden, weil doch offensichtlich etwas weh tut? Wiederum andere tragen ihre Laufwesten, obwohl es auf den 21 Kilometern ganze 7 Verpflegungsstationen gibt… ob die so schnell laufen, dass für Pausen keine Zeit ist?
In der Glasfassade der Bergbahn sehe ich mein eigenes Spiegelbild. Von Kopf bis Fuss eine wandelnde Werbung für Dynafit, was andere wohl über mich denken? Hoffentlich kommt keiner auf die Idee, dass ich gesponsert werde, das wäre wirklich eine lausige Marketingstrategie. Ich bin nur halb so schnell wie ich aussehe… Halt. Stopp.
Ich ertappe mich wie ich mal wieder meinem Imposter-Syndrom nachgebe. Die Stimmen in meinem Kopf, die sagen «Hier gehöre ich nicht her. Das kann ich nicht. Hätten die mal meinen Strava-Account gecheckt, hätten die mir nie eine Startnummer gegeben…»
Geht es nur mir so? Zu meiner Verwunderung muss ich feststellen, dass ich selbst unter den trail-maniacs mit diesen Sorgen nicht allein bin.
Elena Lopez aus Basel schreibt mir. Das mit dem Imposter-Syndrom sei für sie schon auch ein Thema. Was?? Elena, Du doch nicht… Doch, doch, wenn sie sieht, wie sich andere auf ihre Läufe vorbereiten, inklusive Ernährungsstrategie, perfekter Ausrüstung usw., dann fühlt auch sie, dass sie nicht hierhergehört. Dazu kommt, dass ihre Freunde, die nicht Teil der trail-running Community sind, in ihr eine Heldin sehen. Ein Eindruck, dem sie vehement widerspricht. «Ich mache nicht aussergewöhnliches und bin auch nicht so besonders gut, ich mache das halt lang und gerne…».
Auch Alexandra Stössel kennt das Gefühl und hat sich ihre eigene Strategie zurechtgelegt: «Ich versuche mit Gruppen zu laufen, die als langsam oder gemütlich ausgeschrieben sind. Ausserdem sind diese Läufe z.B. mit den trail-maniacs nicht Wettkämpfe oder anspruchsvolle Speed/Intervall Trainings sondern gemeinsame Läufe, die Spass machen sollen und bei denen es ja auch eine soziale Komponente gibt. Das halte ich mir immer wieder vor Augen. Meist gibt es auch noch einige andere, denen es ähnlich geht 😉 dann schliesse ich mich eher denen an oder biete ich mich ab und zu auch als „Besenwagen“ an. Und trotz alledem, weiss ich, dass ich eigentlich nicht so langsam bin, wie ich das Gefühl habe bei diesen Läufen – das zeigen die Wettkampfresultate. Obwohl ich also mir dessen im Klaren bin, der kleine Zwerg auf der Schulter (Imposter Syndrom) ist schwer abzuschütteln 😉»
Man sieht an unseren drei Beispielen, das Imposter-Syndrom scheint vor allem (nicht ausschliesslich) ein Frauenthema zu sein… Debi Kistler und Sarah Schaufelberger haben die trail-maniacs ZH Sisters ins Leben gerufen. Sie haben bemerkt, dass Frauen sich oftmals stärker hinterfragen und sich gedacht, dass die Hürde in einer reinen Frauengruppe mitzulaufen möglicherweise tiefer als in einer gemischten Gruppe wäre. In Zürich treffen sich nun Frauen jeden Donnerstag zum Trail Running. Und selbst innerhalb dieser Gruppe gibt es noch ein besonderes Angebot: der erste Donnerstag jeden Monat ist besonders auch für «Trailfrischlinge» und wird gerne auch von Wiedereinsteigerinnen genutzt (z.B. nach einer Schwangerschaft oder Verletzung). Dabei steht vor allem der Spass im Vordergrund, weniger die Leistung. Die Sisters Crew passt die Pace dem Niveau der Gruppe an, und machen auch manchmal zwei Gruppen, damit alle auf ihre Kosten kommen. Ziel ist mehr Frauen nachhaltig für Trailrunning zu begeistern.
Das Imposter-Syndrom hat die Macht, uns einer der schönsten Dinge des Lebens zu berauben, dem Trail Running. Zum Glück gibt es die trail-maniacs. «Einsteiger- und Umsteiger, alte Hasen des Trailrunning Business, flinke Gazellen und selbsternannte lahme Enten und Schnecken. Wir orientieren unser Gruppentempo an den Schwächeren, während die Stärkeren einen Gang zurückschrauben, so dass niemand an den gemeinsamen Trail Runs verloren geht. Spass und der Gemeinschaftsgedanke haben bei uns Priorität.» So steht es auf der Webseite, so wird es gelebt.
Wie es mir wohl beim Lauf gegangen ist? Ein Traum! Ich habe meine Energie gut eingeteilt und lächelnd den Schlusssprint hingelegt. Warum, warum nur hatte ich mir so einen Kopf gemacht?
Beitrag von Eva Haussmann