Innerhalb der Ausdauersportarten stellt der Laufsport eine Besonderheit dar, da er die Disziplin mit den grössten Belastungen des Bewegungsapparates ist. Unter den Laufsportarten ist vermutlich das Trailrunning wiederum die Disziplin, bei welcher der Unterschied zu den anderen Ausdauersportarten am bedeutendsten einzuschätzen ist. Im Rad-, Schwimm- oder Rudersport wird die Planung und Gestaltung eines Trainings von metabolischen (Stoffwechsel-) Überlegungen dominiert. Im (Trail-) Running sollten diese Überlegungen aber erst in den Fokus rücken, wenn gewisse den Bewegungsapparat betreffende Grundvoraussetzungen erfüllt sind. Daher sind die hohe Anzahl an Verletzungen des Bewegungsapparates im Laufsport möglicherweise damit zu erklären, dass sich bisher die Trainingsgestaltung zu stark an metabolischen Überlegungen orientiert hat. Dies lässt sich schon allein daran erkennen, dass alle vorhandenen Plattformen zur Erfassung des Trainings im Ausdauersport (z.B. Strava und TrainingPeaks, Abb. 1) die Trainingsbelastung in Abhängigkeit metabolischer Überlegungen (in der Regel die Herzfrequenz) betrachten oder in Abwesenheit dieser Daten, die metabolische Belastung einfach abschätzen.
Der Belastung des Bewegungsapparates widmet sich dagegen keine einzige der vorhandenen Plattformen. Im Laufsport und speziell im Trailrunning ist diese Belastung von Muskulatur, Sehnen und Gelenken aber auf Grund der häufig abbremsenden Muskelarbeitsweise um den Faktor 30 höher als in anderen Ausdauersportarten. Dafür sind im Trailrunning die wiederkehrenden Bergabläufe verantwortlich. Das Problem ist am folgenden Beispiel einfach zu erklären: ein 10 km Downhill in einem angenehmen Tempo bildet in den Herzfrequenzdaten quasi eine Regenerationsaktivität ab, während die gleiche Strecke im Uphill als mindestens mittelintensiv bewertet wird. Die Belastung des Downhills für den Bewegungsapparat ist aber um ein Vielfaches höher als der entsprechende Uphill. Eine adäquate Trainingsgestaltung im Trailrunning benötigt also eine Betrachtung beider Systeme: die des kardiovaskulären Systems und die des Bewegungsapparates.
Interessanterweise weisen die üblichen Trainingsempfehlungen für den Laufsport bereits darauf hin: 80% der Trainingseinheiten locker, 20% intensiv wird für den Breiten- wie den Leistungssport empfohlen. Doch warum eigentlich? Reicht es nicht das hochintensive kardiovaskulär wirksamere Training zu machen, damit sich die Leistungsfähigkeit verbessert?
Inhaltlich dient das lockere Training im Laufsport dazu u.a. den Bewegungsapparat zu stärken, damit den Körper die hochintensiven Trainings weniger belasten. Immer wieder erlebe ich Athleten, welche das lockere Training weglassen, wenn sie keine Lust haben und dann nur das hochintensive Training durchführen, weil sie finden, dass das das «wichtige» Training ist. Auf Dauer wird dieses Vorgehen aber die Verletzungsgefahr erhöhen, da die Fähigkeit des Bewegungsapparates mechanische Reize zu absorbieren sicher über die regelmässigen moderaten Belastungen aufbaut und mit dem beschriebenen Auslassen von einfachen Einheiten die Belastbarkeit des Bewegungsapparates abnimmt.
Jedes Training im Laufsport führt zu «Schäden» am Bewegungsapparat (Abb. 2). Ob diese Schäden klein sind und zu positiven Anpassungen führen, oder gross sind und zu Verletzungen führen hängt vom Verhältnis zwischen Gewebestärke und Gewebebelastung ab1. Ist es beispielsweise jemand gewohnt 30 km pro Woche zu Laufen und läuft dann in einer Woche 100 km, steigt seine Verletzungsgefahr stark an. Das gleiche gilt für die übermässige Steigerung der gelaufenen Höhenmeter. Ist es der Athlet:in gewohnt, 1000 hm pro Woche (vor allem runter) zu Rennen und baut dann eine (oder sogar mehrere) Woche(n) mit 3000 hm ein, arbeitet er/sie deutlich über seiner/ihrer Gewebestärke. Die Modellierung dieses Zusammenhangs auf kardiovaskulärer Ebene wird für die Vermeidung von «Übertraining» in allen Ausdauersportarten verwendet (siehe Fitness-Freshness Modell von Strava oder Fitness-Fatigue Modell von TrainingPeaks). Auf kardiovaskulärer Ebene führt eine zu hohe Trainingsbelastung eher zu einer Schwächung des Immunsystems und erhöht den Gesamtstress des Körpers, was in Extremfällen auch die Anfälligkeit des Bewegungsapparates (Entzündungen) erhöhen kann.
Auf Ebene des Bewegungsapparates führt ein Missverhältnis von Gewebebelastung und Gewebestärke zu einer stark erhöhten Anfälligkeit für akute oder chronische Verletzungen – sogenannte Überlastungsprobleme1. Einige Autoren in der Wissenschaft argumentieren, dass alle Überlastungsprobleme auf Trainingsfehler zurückzuführen sind. Gerade im Trailrunning zeigt die Nachbetrachtung von Überlastungsproblem tatsächlich häufig eine akute Änderung im Trainingsverhalten. Sei es ein starker Anstieg der Distanz, der Höhenmeter, aber auch eine Veränderung des Untergrundes oder der Lauftechnik kann zum Auslöser einer Überlastung werden.
Die Empfehlungen für die Trainingsprogression (Steigerung) sagen deshalb, dass man von einer Woche zur Nächsten nur geringe Steigerungen in der Distanz machen darf. Dies gilt speziell im Trailrunning auch mit Blick auf die absolvierten Höhenmeter. Doch wieviel mehr darf es sein, bevor die Gewebebelastung die Gewebestärke überschreitet? Herkömmliche Empfehlungen reden von nicht mehr als 30%, da fundierte Analysen gezeigt haben, dass bei Steigerungen von mehr als 30% die Verletzungsgefahr messbar höher ist. Hier sollte man allerdings vorsichtig sein. In der entsprechenden Untersuchung hatte auch die Gruppe, welche 10-30% Steigerung hatte mehr Verletzungen. Die Unterschiede in der Häufigkeit von Verletzungen bei der Gruppe, die weniger als 10% Steigerung im Vergleich zum durchschnittlichen Training der letzten Woche durchführten, wähnt dieses Vorgehen als das sicherste2. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass je nach Trainingshistorie einige Trainierende 30% vertragen, Andere bereits bei 5% Steigerung Überlastungsprobleme bekommen.
Eine Möglichkeit Überlastungsproblemen vorzubeugen ist eine fokussierte Verbesserung der Gewebestärke. Gerade im Ultra-Trailrunning, wo die Wettkampfbelastungen meist akut deutlich über der im Training erzielten Gewebestärke liegt, wird dies extrem relevant. Der leistungslimitierende Faktor in diesen Wettkämpfen ist hier, neben metabolischen (Essen!) Faktoren, häufig die Fähigkeit des Bewegungsapparates Belastungen auszuhalten. Hohe läuferische Trainingsvolumina bilden hier die Grundlage für eine gute Vorbereitung. Verbesserungen sind darüber hinaus aber auch effizient mit Krafttraining3 und fokussiertem Downhilltraining zu erzielen. Der Vorteil beider Methoden ist, dass das kardiovaskuläre System dabei geschont wird und der metabolische Stress nicht noch weiter erhöht wird. Der Vorteil des Downhilltrainings besteht auch darin, dass die Belastungsart (abbremsend) eher dem Laufen und Trailrunning entspricht als beim Krafttraining, wo ungefähr die Hälfte des Trainings abbremsend ist. Crosstraining in anderen Ausdauersportarten (z.B. Radfahren) ist selten abbremsend und unterstützt die Entwicklung der Gewebestärke nicht, wird aber von den erwähnten Reporting-Tools gleichermassen in die Belastungsberechnung integriert.
Fazit: Im Trailrunning sollte der Fokus nicht nur auf eine Verbesserung der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit gelegt werden, sondern auch auf eine Maximierung der Gewebestärke zur Vermeidung von Überlastungsproblemen. Fokussiertes Downhilltraining und ergänzendes Krafttraining sind dafür äusserst hilfreiche Trainingsmethoden. Neben den üblichen Plattformen und Reporting-Tools zur Trainingskontrolle, welche gut die metabolische Belastung abbilden, sollten Parameter, die für die Gewebebelastung relevant sind (Distanz und Höhenmeter), in die Trainingsdokumentation und -planung miteinbezogen werden.
Referenzen
1 Kalkhoven, J. T., Watsford, M. L., & Impellizzeri, F. M. (2020). A conceptual model and detailed framework for stress-related, strain-related, and overuse athletic injury. Journal of Science and Medicine in Sport, 23(8), 726-734.
2 Nielsen, R. Ø., Parner, E. T., Nohr, E. A., Sørensen, H., Lind, M., & Rasmussen, S. (2014). Excessive progression in weekly running distance and risk of running-related injuries: an association which varies according to type of injury. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy, 44(10), 739-747.
3 Lauersen, J. B., Andersen, T. E., & Andersen, L. B. (2018). Strength training as superior, dose-dependent and safe prevention of acute and overuse sports injuries: a systematic review, qualitative analysis and meta-analysis. British journal of sports medicine, 52(24), 1557-1563.